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Die Krise nach der Krise

Die Krise nach der Krise

oder auch ne never ending story


Dieser Text liegt nun seit so vielen Monaten auf meinem Schreibtisch, die Krise ist

also real, ai ai ai. Doch es geht Berg auf, zumindest ein an manchen Tagen.


In diesem Artikel geht es um den Mythos „die Zeit nach Corona“, gesellschaftlicher Druck, der eigentlich nur in meinem Kopf passiert und die Frage nachdem WIE ich eigentlich mein Leben in einer globalen Krise als kreativer Mensch gestalten möchte.


Das hier ist keine Lösung, sondern lediglich der Versuch mit Euch zu teilen, dass es oke ist auf der Suche zu sein und es vielleicht auch ein stückweit in Ordnung ist nie so richtig anzukommen - was auch immer das bedeuten mag.

Selbst wenn nur eine Person sich mit diesen Gedanken identifizieren kann und sie sich dadurch verstanden fühlt, ist doch schon einiges getan, oder?


Als mir vor ein paar Monaten zum zwanzigsten Mal gefühlt der Retainer im Mund bricht und ich in der kieferorthopädischen Praxis in Berlin stehe, kommt mal wieder ein altbekanntest Gefühl in mir hoch: Panik und ein Schweißausbruch, der eine existenzielle Krise in mir auslöst.


Fuck, ich habe gar keinen richtigen Beruf.

Was mache ich hier eigentlich?


Dieses Gefühl ist ein bisschen wie Sehnsucht. Während ich die Menschen sehe, die in dieser Praxis arbeiten, wie sie fast schon meditativ und routiniert ihre Aufgaben erledigen, fühl ich mich komplett unnütz und verloren in diesem riesen Meer an Möglichkeiten.

Berlin ist so viel größer als Köln, so viel mehr Menschen, mehr Jobs und Möglichkeiten – so viel mehr Fragezeichen in meinem Kopf!

Zufrieden schaut die Frau an der Rezeption kurz zu mir auf, sie weiß genau was sie da tut und strahlt so eine innere Ruhe aus, gibt mir mein Formular unterschrieben zurück und wünscht mir noch einen schönen Tag.


Ich will das auch, denke ich.

Diese Routine, diese Sicherheit und Gewissheit über das was ich tue. Jeden Tag. Einen Ablauf, festes Gehalt, im besten Fall eine Mittagspause und Kolleg:innen, ein Team, das ich regelmäßig sehe.


Will ich das? Nein.

Schnell verwerfe ich diesen Gedanken, erinnere mich an die Zeiten, in denen ich genau das hatte. Einen festen Job, Unistuff und einen routinierten Alltag.

Ich gehörte zu den Studierenden, die mindestens zwei Nebenjobs während des Bachelors machen mussten. Mein Altbau-WG-Zimmer im belgischen Viertel, lecker Essen, feiern mit den anderen und ganz viel Reisen in den Semesterferien wollte ich mir eben auch leisten können.

Damals war mir aber nicht bewusst, dass ein Großteil meiner Kommiliton:innen finanzielle Unterstützung von ihren Eltern bekamen. Als Scheidungskind bekam ich die auch. Als ich aber damals über Instagram meine erste Kooperation für 50€ und ein kostenloses Produkt umsetzte (lol), war ich fest davon überzeugt, dass ich ganz bald selbstständig sein will.

Anscheinend reichte mir dieser mini Erfolg (Erfolg ist hier definitiv der falsche Begriff), um zu denken, dass ich schon irgendwie unabhängig leben könne und die Sache mit der Selbstständigkeit wollte ich zu 100% schaffen. Keine Ahnung mit was genau, aber ich wusste, dass es klappen wird.

Also sagte ich meinem Papa, dass ich keinen Unterhalt mehr annehmen kann und will. Vor allem weil ich mitbekommen hatte, wie sehr er selbst in seiner Selbstständigkeit kämpfte. Tag für Tag.

Das schreckte mich nie ab und im Gegenteil wurde mir jeden Tag bewusster, dass ich selbstständig arbeiten will. Irgendwas mit Kunst, aber eigentlich egal mit was.

„Wenn es mal nicht läuft, kann ich mir jederzeit einen Job suchen“, dachte ich immer. Ich war nie abgeneigt in Cafés zu arbeiten oder konnte mir auch vorstellen nochmal mit Kindern zu arbeiten. Mir hatten viele Jobs Freude gebracht.


Ne ne, das will ich aber doch gar nicht, oder?

Wenn ich an diese Zeiten denke im Bachelor und Master und auch danach. Studieren und Arbeiten oder in auch Festanstellung zu sein. Das war einfach viel zu viel. Weil ich ja „nebenbei“ immer selbstständig gearbeitet habe und auch nicht abschalten konnte, dass ich meine Gedanken, oder was auch immer, zum Ausdruck bringen wollte. Irgendwas in mir war da immer. Bis heute kann ich dieses Gefühl nicht richtig beschreiben.

Und was machst Du jetzt so? Löst jedes mal ne existenzielle Krise in mir aus.

Mittlerweile antworte ich meistens „Foto und Regie“, weil das durchaus meine Aufgabenbereiche unter anderem sind, aber irgendwie klingt selbst das gelogen, wenn ich es ausspreche und ich denke automatisch an all die Dinge, die ich ja auch noch mache. Ja, I know, ich muss mich jetzt auch mal dringend fokussieren.


Ich will auch nicht mehr der Italian Allrounder (Gewürzmischung und Alleskönner:in) sein,

die Person, die alles ein bisschen kann.

Und dann werde ich eben an manchen Tagen wach und denke


„Fuck, ich habe gar keinen richtigen Beruf“.


Nach ein paar Jahren als Influencerin für vintage - und Fair Fashion wurde mir relativ schnell klar, dass ich irgendwie „mehr“ will und ich mich auch mit vielen Abläufen innerhalb dieser Branche nicht identifizieren kann. Ich kann und will nicht 100% meines Alltags durch mein Smartphone erleben und ich möchte niemals meine Stimmung von Likes und Engagementzahlen abhängig machen. So oft habe ich gesehen, wie Influencer:innen nur von dieser Bestätigung von außen zehren und das war für mich teilweise ganz schwierig mitanzusehen. Und jedes Mal, wenn ich mich selbst dabei ertappt habe, bin ich einen Schritt zurückgetreten und habe laut zu mir selbst gesprochen, dass ich das nicht will und mir diese Art der Bestätigung nicht guttut.


Ich darf und durfte natürlich mit super nicen Brands zusammenarbeiten und habe so viele Möglichkeiten bekommen, die ich ohne Instagram niemals bekommen hätte.

Ich hatte ganz viel Glück und bin dafür extrem dankbar. Auch wenn das hier vielleicht nicht so klingt, habe ich ganz tolle Menschen kennengelernt und sehr viel in diesen Jahren gelernt. Nicht nur über mich selbst, sondern auch inhaltlich über die Branche. Ich hatte aber trotzdem nach jedem „größeren“ Projekt das Gefühl von „Fuck, das wars jetzt? Das soll mich jetzt erfüllen und glücklich machen? Die Community liebts aber ich sitze jetzt wieder zu Hause und will irgendwie mehr als das“.


Die Pandemie hat dieses Gefühl auf jeden Fall verstärkt. Mein Masterabschluss fühlt sich bis jetzt so surreal an, weil ich so wenig Präsenzlehre hatte und gefühlt die ganze künstlerische Praxis in meinem Zimmer umgesetzt habe und jeden Tag an dieselbe Wand gestarrt habe. Nicht viel Input, kaum neue Kontakte oder die Möglichkeit sich im realen Raum zu vernetzen. Das ging Euch ja wahrscheinlich nicht anders. Homeoffice, Online-Lehre - einfach nicht so hammer, vor allem wenn man als junger Mensch eigentlich in der Welt da draußen mal beruflich ankommen will. Es zumindest versuchen will. Krise eben.


Nach der Pandemie geht’s dann richtig los. Ja, ja. Was soll ich sagen? Irgendwie war mir von Anfang klar, dass es dieses eine Ende der Pandemie nie geben wird und dass es dann auch eher nur zu einer Verschiebung der Krisen kommen wird.

Und jetzt stehen wir hier, fast drei Jahre nach Ausbruch der Pandemie. Naja.

Ich hab nicht das Gefühl, dass es jetzt los geht. Im Gegenteil. Gefühlt werden immer mehr sozio-politische Themen offen gelegt, die einfach katastrophal laufen und für die auch niemand so richtig die Verantwortung übernehmen will.

Und während also gefühlt die Welt untergeht, sich global wirklich die größten Krisen tagtäglich abspielen, sollen wir jungen Menschen uns selbst finden und herausfinden, wie wir dieses Leben mitgestalten wollen?

Schwierig. Oder?


Werde ich nie so richtig ankommen?

Kann ich irgendwann akzeptieren, dass es nicht nur „der eine Job“ ist, den ich mache, sondern eben immer viele verschiedene Dinge und Projekte, an denen ich arbeite? Weil wenn auch so viel in der Welt passiert, Umstände sich jeden Tag ändern können, müssen wir vielleicht unseren Platz in dieser Welt auch flexibel gestalten? Ich weiß es nicht.

Wenn ich mir vor Augen führe, was meine täglichen Projekte sind, sehe ich einen riesigen chaotischen Haufen mit vielen Türen und Wegen.

Wie ein Klumpen, mit viel Geröll und Sand, mal sehe ich mehr, mal weniger was vor mir liegt.

Ich hab keine Ahnung. Diese Gedanken strengen mich teilweise so an.

Und dann würde ich einfach gerne morgens ins Büro gehen. Kaffee drücken, alle Kolleg:innen grüßen und mich um 18 Uhr wieder verpieseln. Ab auf die Couch.


Selbstständigkeit kennt bei mir keine Regelmäßigkeit. Ich habe entweder 100 Dinge zu tun oder gar nichts und dann bin ich auch meistens so erschlagen von den Jobs und vom Leben, dass ich nur rumliege und an die Decke starre. Diesen Text hier habe ich im Sommer angefangen.

Wahrscheinlich würden schon wiederkehrende Jobs helfen. Also A die Gewissheit, dass Geld reinkommt und B eine Art wiederkehrende Tätigkeit, die aber trotzdem selbstständig erledigt werden kann. Sich das irgendwann aussuchen zu können, empfinde ich als ein krasses Privileg und ich freue mich für alle, die so arbeiten können.


Und während ich mir all diese Gedanken mache – ne never ending Story – liegen alle im Strandbad, tanzen auf Festivals und genießen mit Aperol und Wildberry Lillet ihr Leben und den Sommer.

An manchen Tagen kann ich das auch. Wahrscheinlich eher aus Angst vor dem Herbst und dem Winter. Und dann bin ich auch nur so halb anwesend, weil dieses Gedankenkarussel nur manchmal stoppt.


Die Pandemie ist nicht vorbei und ich spüre so richtig, wie ich fast verkrampft auch alles genießen will, bevor eben der Winter kommt. Summertime Sadness ist ein Ding und ich weiß, wie anstrengend diese gemischten Gefühle sind.


Vielleicht hilft es, wenn wir mehr über diesen daily struggle reden. Vielleicht.

Manchmal habe ich das Gefühl, dass wir in Zeiten der Krise unsere eigenen Bedürfnisse verdrängen und gar nicht ernst nehmen, weil wir meistens aus einer privilegierten Position heraus sprechen. Aber das bringt der Welt ja auch nichts, wenn wir nicht bei uns selbst anfangen und die kleinen Krisen im Alltag ernst nehmen. Erst dann können wir selbstwirksam werden.


Vielleicht hilft es, wenn wir auf Insta nicht nur zeigen, wie cool unser Leben und unsere Jobs sind, sondern es auch Zeiten im Leben gibt, in denen wir nicht wissen, was wir eigentlich wollen. Und dass es oke ist mal zu wissen wohin der Weg führt und dann wieder nicht.

Dass diese Wellen normal sind, Kunst immer in Bewegung ist und so eben auch wir und unsere Köpfe. Und das ist doch eigentlich gut. Dass es immer weiter geht, wir uns weiterentwickeln, reflektieren und eben nicht stagnieren oder stehen bleiben.


Alles ist immer in Bewegung. Auch wenn sich das manchmal nicht so anfühlt.

Es ist wie ein ständiges Ausprobieren und mit jeder Probe wissen wir vielleicht besser, was wir wollen und was nicht.

Austauschen und zuhören. Ich habe selbst gemerkt, dass ich lange versucht habe irgendein ein Bild von mir aufrecht zu erhalten. Ich weiß nicht mal genau was für ein Bild. Wahrscheinlich eins von dem ich dachte, was andere Menschen über mich denken. Krasse Energieverschwendung!

Wenn wir uns mehr austauschen merken wir glaube ich schnell, dass wir nicht alleine sind mit diesen Gedanken und summertime sadness auch völlig oke ist.

Es ist okay. All das.

Luv vom Schreibtisch und meinen eingefrorenen Füßen


Jaqui


PS: Neben mir liegt das Zine von Ida Kammerloch: WE TRAVEL NOT TO ESCAPE LIFE BUT FOR LIFE NOT TO ESCAPE US?













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